Einstiegsartikel: Relevanz und Nutzen für die Verwaltung

In einem sich stetig wandelnden sozialen, technischen und wirtschaftlichen Umfeld müssen Organisationen verschiedenster Art einen Ausgleich zwischen Dynamik und Stabilität finden. Diese Balance betrifft nicht nur die Privatwirtschaft, sondern auch öffentliche Verwaltungen, Unternehmen der Sozialwirtschaft und gemeinnützige Nichtregierungsorganisationen. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Relevanz von Ambidextrie in der Verwaltung und legt dar, was Ambidextrie im öffentlichen Sektor leisten kann.


Relevanz

Der öffentliche Sektor steht ähnlich wie die Privatwirtschaft vor vielfältigen Herausforderungen. Dabei zeigen sich folgende Spannungsfelder:

  • Druck zur Digitalisierung: Die Suche nach und Implementierung von digitalen Lösungen stehen im Fokus, um den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden.
  • Fachkräftemangel und demografische Entwicklung: Eine schrumpfende Anzahl von Verwaltungsangestellten aufgrund des demografischen Wandels bedeutet weniger personelle Ressourcen für die Bewältigung der steigenden Anforderungen.
  • Hohe Erwartungen an Verwaltungseinrichtungen: Die Öffentlichkeit und private Unternehmen fordern effiziente und transparente Verwaltungsprozesse unter Einhaltung des Datenschutzes (IT-Planungsrat, o. D.).
  • Notwendigkeit von Einsparungen: Haushaltskürzungen erfordern effiziente Ressourcennutzung und Kostenreduktionen (Stein, 2023).

In diesem Kontext wird deutlich, dass der öffentliche Sektor einerseits neue, innovative Lösungen entwickeln muss, um den sich ändernden Ansprüchen der Öffentlichkeit an die Verwaltung gerecht zu werden und um eine angemessene Digitalisierung der Verwaltungsabläufe zu bewerkstelligen; während andererseits die Effizienz und Bewährtes nicht aus den Augen verloren werden darf (Cannarts et al., 2019). Die Professionalität und Vernetzung besonders der erfahrenen Mitarbeitenden ist insbesondere in volatilen Zeiten für die Zuverlässigkeit der Qualität der Verwaltungsdienste und für die Entwicklung solider Lösungsansätze unverzichtbar. Diese Ambivalenz zwischen Innovation und Effizienz spiegelt sich im Konzept der Ambidextrie wider.

Ambidextrie bedeutet das Ausbalancieren der beiden Modi „Explore“ (Erkunden neuer Möglichkeiten) und „Exploit“ (Nutzung vorhandener Ressourcen und Fähigkeiten). Letztlich strebt die Ambidextrie das langfristige Bestehen und die Anpassungsfähigkeit von Organisationen an eine sich stetig wandelnde Umgebung an. Zur Veranschaulichung nochmal ein kurzer Überblick über die Kennzeichen der Arbeitsweisen im Exploit-Modus und im Explore-Modus.

Verwaltungsarbeiten, insbesondere die Arbeit der öffentlichen Verwaltung, werden häufig im Exploit-Kontext verortet und das nicht zu Unrecht: „In der Literatur zu Ambidextrie (...) wird gezeigt, dass effiziente Prozesse in Bereichen mit Fokus auf Exploitation, wie die Produktion oder die Verwaltung, verlässliche und relativ starre Abläufe und Routinen benötigen.“ (Brem, Rost (2023), S.2f.).

Gleichzeitig brauchen v.a. die fortschreitende Digitalisierung und der zunehmende Mangel an Fachkräften einen beherzten Anlauf, um auf alte und neue Fragen, passende Antworten zu finden. Hier braucht es auch Mut neue Wege zu gehen und einen konstruktiven Umgang mit Erkenntnissen, die aus Fehlern gewonnen werden. Genau an diesem Punkt gibt es im Öffentlichen Dienst noch einen größeren Handlungsbedarf und genau an diesem Zusammenwirken von exploit und explore-Fragen setzt das Ambidextrie-Konzept an.

Der Folgebeitrag “Praktische Umsetzung von Ambidextrie in der Verwaltung” taucht direkt tiefer in die Materie ein. Hier werden Gelingensbedingungen aufgezeigt und am Beispiel von zwei Organisationen Umsetzungsmöglichkeiten skizziert.

Was könnte durch eine ambidextre Arbeitsweise in der Verwaltung besser werden?

Grundsätzlich kann eine ambidexter aufgestellte Verwaltung in einem dynamisch-volatilem Umfeld differenziert und kontrolliert zwischen exploitativer, inkrementeller Anpassung und explorativen Innovationssprüngen bzw. mehrdimensionalen Veränderungsprozessen, die ganzheitlich systemisch strukturell bearbeitet werden müssen, navigieren.

Ein aktuell besonders wichtiger Baustein dazu ist die Erhöhung der Zufriedenheit der Mitarbeitenden: Unterschiedlichen Berechnungen zufolge werden Verwaltungen zukünftig mehr Personal benötigen (z.B. dbb, Personalmangel im öffentlichen Dienst, 2023). Dieser Bedarf steigt zusätzlich, weil bis 2032 knapp ¼ der derzeit im öffentlichen Dienst beschäftigten Mitarbeitenden in den Ruhestand gehen werden (DGB Personalreport, 2023). Für die öffentlichen Verwaltungen heißt dies auch, dass sie um die Fachkräfte werben müssen, also ein attraktiver Arbeitgeber sein müssen.

Schaut man sich die Zufriedenheit der Arbeitnehmenden in der öffentlichen Verwaltung an, steht die öffentliche Verwaltung als Arbeitgeberin gut da. Stärken sind

  • die Beständigkeit des Arbeitsplatzes,
  • hohe institutionelle / organisationale Kooperation der Beschäftigten
  • Sinnhaftigkeit der Arbeit

Weniger gut aufgestellt sind Verwaltungen oft im Hinblick auf Flexibilität, Anerkennung individueller Kompetenzen und der Integration von Änderungsvorschlägen aus dem Kreis der Mitarbeitenden. Dies zeigen u.a. Befragungen zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden in der öffentlichen Verwaltung (Next:Republic GmbH, Bleibebarometer, 2022). Im Konzept der Ambidextrie sind diese Aspekte im Explore-Modus besonders gut berücksichtigt, also in dem Modus, der der Entwicklung innovativer Ideen für den Umgang mit großen Veränderungen Raum gibt. Für diese Tätigkeiten sind andere Arbeitsabläufe, Kommunikationsprozesse und eine gewisse Ambiguitätstoleranz (die Fähigkeit, Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten auszuhalten)notwendig.

Um als Arbeitgeberin attraktiv zu bleiben und vor allem, um die Anpassung der Verwaltungsarbeit an die sich ändernden Anforderungen zu bewältigen, kann eine ambidextre Verwaltungsstruktur das vorhandene Potenzial der Mitarbeitenden heben und somit stabil und personalorientiert die neuen Herausforderungen annehmen.

Gelebte Ambidextrie kann dazu beitragen, öffentliche Dienstleistungen zu verbessern und neue zu entwickeln, während sie die benötigte Kontinuität beibehält. Das Konzept der Ambidextrie in öffentlichen Verwaltungen bietet somit Vorteile in strategischer, organisatorischer, managementbezogener und kultureller Hinsicht (Peng, 2019).

Der Folgebeitrag “Praktische Umsetzung von Ambidextrie in der Verwaltung” taucht direkt tiefer in die Materie ein. Hier werden die Unterschiede von Privatwirtschaft und öffentlichen Verwaltungen skizziert und vor diesem Hintergrund Gelingensbedingungen aufgezeigt.


Quellen:

Brem, Prof. Dr. A. & Rost, Dr. M. (2023). Ambidextre Projektstrukturen für eine agile Hochschulverwaltung. In Wissenschaftsmanagement.

Cannaerts, N., Segers, J. & Warsen, R. (2019). Ambidexterity and Public Organizations: A Configurational Perspective. Public Performance & Management Review, 43(3), 688–712.
https://doi.org/10.1080/15309576.2019.1676272

dbb beamtenbund und tarifunion. (2023). Personalmangel im öffentlichen Dienst. https://www.dbb.de/fileadmin/user_upload/globale_elemente/pdfs/2023/231107_dbb_Personalbedarfe_oeD.pdf

DGB. (2023). Kann der öffentliche Dienst Klimakrise? TEIL 2 PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2023.
https://www.dgb.de/fileadmin/download_center/Uploads/DGB-Personalreport_%C3%96ffentlicher_Dienst_2023.pdf

IT-Planungsrat. (o. D.). Die Aufgaben des deutschen IT-Planungsrats.
https://www.it-planungsrat.de. Abgerufen am 6. Juni 2024, von
https://www.it-planungsrat.de/der-it-planungsrat/aufgaben

Next:Public. (2022). Bleibebarometer Öffentlicher Dienst: Eine Befragung zu Bindungsfaktoren in der Verwaltung. In Next:Public. Abgerufen am 19. Juni 2024, von https://nextpublic.de/bleibebarometer-oeffentlicher-dienst/

Peng, H. (2019). Organizational ambidexterity in public non-profit organizations: interest and limits. Management Decision, 57(1), 248–261.
https://doi.org/10.1108/md-01-2017-0086

Stein, E. (2023). Herausforderungen im Bereich des öffentlichen Dienstes sowie seiner Verwaltung und personalwirtschaftliche Verbesserungsansätze. In KIT SCIENTIFIC WORKING PAPERS (S. 1–218) [Report]

Zurück